Der französische Autor und Dokumentarfilmer Robert Bober ist
seinem Urgroßvater nie begegnet. Wolf Leib Fränkel, geboren
1853, jüdischer Leuchtenmacher und -anzünder, ging 1904 fort
aus seinem polnischen Heimatdorf und ließ sich nach einer ver
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hinderten Auswanderung in die USA in der Wiener Leopoldstadt
als Blechschmied nieder. Über ein Jahrhundert später begibt sich
Bober dort auf Spurensuche: nach Erinnerungen an den Urgroßva-ter, die nicht seine eigenen sind, und nach dem Kind an der Hand des alten Mannes, das er hätte sein können.Seine Erkundung wird zu einer Reise in die Zeit vor der langen Nacht des Holocaust, als Wien am Ende der Habsburger Monar-chie kulturelle Weltstadt war und Heimat einer der größten jüdi-schen Gemeinden Europas. Bober streift über den Prater und durch die berühmten Kaffeehäuser, er besucht den Heldenplatz, auf dem Hitler im März 1938 den „Anschluss“ sterreichs an das „Dritte Reich“ verkündete, und den Stadttempel, die einzige Wiener Syn-agoge, die in der Pogromnacht im November desselben Jahres der Zerstörung entging. Das Leben seines Urgroßvaters ekonstruiert er aus den Biografien der vielen jüdischen Autoren, für die Wien vor dem Krieg zur Wahlheimat geworden war. Die Lebenserfah-rungen von Joseph Roth, Stefan Zweig, Peter Altenberg und Arthur Schnitzler sowie deren literarische Stoffe von twurzelung, Exil und leiser Hoffnung sind für ihn untrennbar mit dem Leben des eigenen Urgroßvaters verschmolzen. Wien vor der Nacht ist eine berührende Familiengeschichte, die sehnsuchtsvolle Annäherung an einen verlorenen Ort und eine tief persönliche Reflektion über jüdische Identität und Geschichte.